„Bei den Vorhäuten wurde es dem Vatikan zu viel“
In einem Monat wird im Trierer Dom die erste Heilig-Rock-Wallfahrt in diesem Jahrhundert eröffnet. Dann werden in der Moselstadt wieder Hunderttausende Gläubige erwartet, um einen Blick auf das angeblich letzte Gewand Christi zu werfen. Scharfe Kritik an der Reliquienverehrung übt derweil der Kirchenkritiker Horst Herrmann. Die Wallfahrt in Trier bediene vor allem eine Klientel, auf welche die Kirche „guten Gewissens verzichten“ könne. Zudem sei die Verehrung von Reliquien eine „infantile Form des Glaubens“, so Herrmann. Im Gespräch äußert sich der Theologe und Autor zahlreicher Bücher, dem die katholische Kirche 1975 seine Lehrerlaubnis entzog, über die 13 Vorhäute Jesu, den Heiligen Rock und den Umgang der Kirche mit Reliquien.
16vor: Herr Herrmann, der Leiter der Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt meinte kürzlich auf die Frage nach der Echtheit der Reliquie: „Im Letzten wissen wir es nicht“. Wissen Sie mehr?
Horst Herrmann: Ich habe mehr als 400 Reliquien beschrieben, keine einzige davon ist authentisch. Das gilt auch für den Heiligen Rock. Wo soll der auch herkommen? Es gibt doch niemanden, der ein Gewand Jesu über Jahrhunderte hinweg verborgen aufbewahrt, damit es dann auf krummen Wegen nach Trier kommt. Sie müssen das zudem in einem historischen Kontext sehen: Die Großbischöfe von Mainz, Köln und Trier mussten sich profilieren. So kamen die Kölner zu den Heiligen drei Königen. Diese wurden dann von den Trierern mit dem Heiligen Rock noch getoppt. Aber mit gesundem Menschenverstand kann man das nicht glauben. Es ist ein großer Betrug.
16vor: Lange Zeit wurden Reliquien von vielen katholischen Gläubigen für bare Münze genommen, auch heute noch treibt viele Menschen die Frage nach der Echtheit um. Mal anders gefragt: Gibt es für Sie überhaupt echte Reliquien?
Herrmann: Ja und nein. Ich würde es allenfalls bei ganz modernen Reliquien für denkbar halten, dass sie echt sind. Nehmen Sie beispielsweise ein Stück der Kleidung von Johannes Paul II, oder ein Tropfen seines Bluts. Aber alles was älter ist, ist durch die Bank weg gefälscht.
16vor: 2003 brachten Sie Ihr Lexikon der kuriosesten Reliquien heraus? Welches sind denn aus Ihrer Sicht die Kuriosesten unter den Kuriosen?
Herrmann: Das Umstandskleid Mariens. Außerdem gab es viele Kirchen, die Ampullen mit der Muttermilch der Mutter Gottes verehrten. Bei Jesus haben wir es mit einem besonderen Problem zu tun: Weil er in den Himmel aufgefahren ist, kann es von ihm keine Körperreliquien geben. Er hat ja nichts zurückgelassen. Mit einer Ausnahme, weil er als Jude beschnitten worden war. So behaupteten in Europa 13 Diözesen, die Vorhaut Jesu aufzubewahren.
16vor: Wie verfährt denn die Kirche mit Reliquien, bei denen die Fälschung zum Himmel schreit?
Herrmann: Bei den Vorhäuten Jesu wurde es selbst dem Vatikan zu viel, weshalb er Anfang des vergangenen Jahrhunderts verbat, weiter darüber zu sprechen. Aber wenn Sie wissen, welche Schwierigkeiten Papst Paul VI damit hatte, Heilige, die nachweislich nie gelebt haben, wieder aus dem Heiligenkalender zu streichen, dann ahnen Sie, wie schwierig das bei Reliquien ist.
16vor: Den Glauben an die Kirche haben Sie zwischenzeitlich verloren, nach heftigen Auseinandersetzungen und dem Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis sind Sie ausgetreten: Dennoch: Gab es eine Phase in Ihrem Leben, in der Sie der Reliquienverehrung etwas abgewinnen konnten oder selbst eine Reliquie besaßen?
Herrmann: Die gab’s, und als ich einmal vor vielen Jahren in Rom bei einer Heiligsprechung war, bekam ich ein Döschen mit einer Reliquie. Das habe ich aber verlegt und muss es mal wieder suchen. Aber wissen Sie: Theologisch lässt sich die Reliquienverehrung nicht begründen. Die Gläubigen wollen berühren und schauen, aber das ist eine infantile Form des Glaubens. In der Bibel heißt es: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“.
16vor: Trotzdem werden zur Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier Hunderttausend erwartet, weil sie das Gewand Jesu sehen wollen. Haben Sie kein Verständnis dafür, dass auch Gläubige etwas Fassbares wollen?
Herrmann: Ich kann das gut verstehen. Allerdings nur, wenn wir von einem Souvenirsyndrom sprechen. Das hat jeder von uns, wenn sie beispielsweise Andenken aus dem Urlaub mitbringen oder Fotos machen. Wenn wir von einer religiösen Nippes-Neigung sprechen, ist das alles in Ordnung. Aber wenn Sie sich Jesus nähern wollen, ist es der falsche Weg. Im Leib Christi, also dem konsekrierten Brot, das sie in der Eucharistie empfangen, kommen Sie ihm und dem Glauben ungleich näher.
16vor: Wie bewerten Sie den heutigen Umgang der Kirche mit Reliquien? Zumindest im Fall des Heiligen Rocks scheint es ja eine gewisse Offenheit zu geben.
Herrmann: Grundsätzlich finde ich erst einmal gut, dass der Trierer Bischof für die Heilig-Rock-Wallfahrt keinen besonderen Ablass beantragt hat. Er wäre aber erst konsequent, wenn er diesen Umweg zum Glauben, wie er mit einer Wallfahrt eröffnet wird, nicht stützen würde. Mit solchen Ereignissen wird nur eine Klientel bedient, auf die die Kirche guten Gewissens verzichten könnte.
16vor: Die Heilig-Rock-Wallfahrt will einen Schwerpunkt auf die Ökumene legen…
Herrmann: Das ist absurd. Die Reliquienverehrung ist so ziemlich das Befremdlichste, was die Katholische Kirche hervorgebracht hat. Das jetzt zum Anlass zu nehmen, um für die Ökumene zu werben, kann ich nicht glauben.
von Marcus Stölb