„Das hätte gelangt, keine Frage“
Der Bischof hatte zum offenen Gespräch eingeladen; offen und teilweise harsch fielen dann die meisten der Wortmeldungen aus, die sich Stephan Ackermann am Mittwochabend anhören musste. Im Zusammenhang mit einem erst vor wenigen Wochen publik gemachten Missbrauchsfall in Saarbrücken räumte der 48-Jährige erneut Fehler ein und übte auch Selbstkritik. Personelle Konsequenzen soll es aber vorerst nicht geben. Ackermann war erkennbar darum bemüht, sich gegen aus seiner Sicht unverhältnismäßig scharfe und pauschalisierende Vorwürfe zur Wehr zu setzen. So versuchte der Bischof vor mehr als 200 Mitarbeitern und Interessierten eine Gratwanderung, die auch deutlich machte: Auf wesentliche Fragen hat man im Bistum noch keine Antworten.
TRIER. Wäre eine solche Veranstaltung vor fünf Jahren denkbar gewesen? In einer Institution wie der katholischen Kirche, wo die Maßstäbe bekanntlich andere sind? Hätte man sich etwa einen Bischof Reinhard Marx vorstellen können, wie er vor mehr als 200 Mitarbeiter und Gläubige seines Bistums tritt und sich heftigen Anwürfen stellt? Wohl kaum, und so lässt sich mit ziemlicher Gewissheit sagen: Eine Gesprächsrunde wie jene am Mittwochabend hat es so noch nicht gegeben. An klaren Worten an die Adresse Ackermanns und seines Generalvikars Georg Holkenbrink mangelte es nicht, und vor allem der Bischof musste erkennen, dass der jüngst bekannt gewordene Missbrauchsfall in Saarbrücken-Burbach neue Wunden aufgerissen und ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Institution genährt hat.
Angereist war auch Heiner Buchen. Der Pastoralreferent hatte im Dezember schwere Vorwürfe gegen den Bischof und das Bistum erhoben, es werde „weiter verharmlost, verschwiegen, auf die lange Bank geschoben“, schrieb er in einer Rundmail. Die geharnischte Kritik lag nahe, nachdem bekannt geworden war, dass es fast zehn Monate dauerte, bis das Bistum einem Priester untersagte, weiterhin Gottesdienste zu feiern und Sakramente zu spenden. Besagter Geistlicher hatte eingeräumt, in den 80er-Jahren sexuelle Beziehungen zu minderjährigen Messdienerinnen unterhalten zu haben. Besonders gravierend: Obwohl die Bistumsspitze schon im Januar 2011 Kenntnis von den Vorwürfen hatte, konnte der Priester noch bis in den Herbst hinein Messen feiern und sich feierlich in den Ruhestand verabschieden lassen.
Hier bekommt der ganze Vorgang eine beinahe groteske Note. Denn anders als in solchen Fällen üblich, lag für die Verabschiedung kein Dankesschreiben des Bischofs vor. Was wiederum den Saarbrücker Dechanten verwunderte, der daraufhin im Generalvikariat nachhakte, wo denn das Schreiben bleibe. Tatsächlich hatte Ackermann nach eigener Darstellung da schon entschieden, dass es angesichts der Vorwürfe gegen den Priester kein Dankesschreiben geben könne. Dass der Dechant auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die Schwere der Vorwürfe informiert wurde, machte das Kommunikationsdesaster perfekt. „Der Dechant hätte informiert werden müssen“, räumte Georg Holkenbrink am Mittwochabend ein. Das dies unterblieb, sei einer der „gravierenden Fehler“ gewesen, von denen der Bischof kurz vor Weihnachten in seinem offenen Brief gesprochen hatte.
„Ein offenes Scheunentor für Sexualstraftäter“
Der zweite, nicht minder gravierende Fehler war nach Darstellung Holkenbrinks der, dass nicht schon im letzten Januar Konsequenzen gezogen wurden. Da der Priester kurz zuvor Opfer einen Überfalls geworden war – möglicherweise eines Racheaktes – und seinerzeit nicht im Dienst war, habe man von einer Suspendierung zunächst abgesehen. Schließlich diene eine solche Maßnahme auch der Prävention. Anders gesagt: Im Generalvikariat dachte man, von dem Mitbruder gehe aktuell ohnehin keine Gefahr aus, da er sich in der Reha befand. Sonst, so Holkenbrinks Lesart, wäre man schneller und entschiedener eingeschritten. Auf die Frage, ob die im Januar 2011 bekannten Informationen nicht schon ausgereicht hätten, dem besagten Priester das Spenden von Sakramenten zu untersagen, erklärte der Generalvikar: „Das hätte gelangt, keine Frage!“
Nach den vergangenen Wochen langte es offenkundig auch zahlreichen Mitarbeitern und Gläubigen im Bistum. Denn Ackermanns offenem Brief zum Trotz entlud sich am Mittwochabend die Enttäuschung über Ackermann und der Bistumsleitung. Sie sei „persönlich enttäuscht“ von ihm, sagte eine Lehrerin gleich zu Beginn der Diskussion. Eine Mitarbeiterin beklagte die Praxis, durch sexuelle Übergriffe auffällig gewordene Priester, deren Taten inzwischen verjährt sind, nicht selten in Krankenhäuser zu versetzen. Ob dem Bischof denn nicht bewusst sei, was für einen „verheerenden Eindruck“ das bei der gesamten Krankenhausseelsorge hinterlasse? Mehrere Mitarbeiter forderten, dass die Täter gar nicht mehr in der Seelsorge eingesetzt werden dürften. Hier müsse die von Ackermann propagierte „Null-Toleranz“-Marschroute greifen. Und überhaupt: Es könne nicht sein, dass wiederverheiratet Geschiedene von den Sakramenten ausgeschlossen werden, „Verbrecher aber Sakramente spenden dürfen“. Der Vorsitzende des Pfarrgemeinderats von Dierdorf bei Neuwied, wo ein Vikar aufgrund von Missbrauchsvorwürfen beurlaubt worden war, warf Ackermann vor, zu wenig Präsenz zu zeigen. Er habe sich gewünscht, dass der Bischof in seine Gemeinde komme und damit ein deutliches Zeichen setze. Wäre es nach Heiner Buchen gegangen, dann hätte die gestrige Diskussion in Saarbrücken-Burbach stattgefunden.
Bischof wehrt sich gegen pauschalisierende Kritik
Obwohl Moderatorin Beate Barg mehrmals darum bat, dass der Stil der Redebeiträge sachlich bleibt, verschärfte sich im Verlauf der Veranstaltung der Ton einiger Wortmeldungen. Jutta Lehnert etwa, geistliche Leiterin der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ) Trier, ging den Bischof und frontal an: Es gehörten auch die Machtstrukturen innerhalb der Kirche auf den Prüfstand, denn die bildeten „ein offenes Scheunentor für Sexualstraftäter“. Nicht nur das ging Ackermann zu weit. Bei aller Bereitschaft zur Selbstkritik und dem Eingeständnis von schwerwiegenden Fehlern – es sei „grenzwertig“, wie er in den vergangenen „aus den eigenen Reihen“ attackiert worden sei. „Das kränkt und verletzt mich“, kommentierte er auch Vorwürfe, er habe den Saarbrücker Missbrauchsfall gezielt vertuschen wollen. Was mögliche personelle Konsequenzen aus den Fehlern der vergangenen Monate anbelangt, so wird es diese vorerst nicht geben. „Ich trage letztlich die Verantwortung“, so Ackermann, der einen Rücktritt als Bischof ausschloss.
Wohl selten stellte sich ein katholischer Bischof einem vergleichbaren Kreuzverhör. Ackermann selbst hatte gleich zu Beginn des Gesprächs von einem „Wagnis und Experiment“ gesprochen, auf das er sich da einlasse. In den folgenden eineinhalb Stunden war der Kirchenmann erkennbar um eine Gratwanderung bemüht – zwischen selbstkritischer Offenheit und dem Versuch, sich gegen – aus seiner Sicht – unverhältnismäßige und pauschalisierende Kritik zur Wehr zu setzen. „Mit solchen Sprüchen kann ich nichts anfangen“, kommentierte er Jutta Lehnerts Behauptung vom Scheunentor. „Herr Bischof, hören Sie auf von ‚Sprüchen‘ zu sprechen“, rief daraufhin ein aufgebrachter Teilnehmer in den Saal.
Auch Ackermann griff zu einer gewagten Formulierung. Was den Umgang mit Tätern angeht, die sich schuldig gemacht haben, deren Taten aber verjährt sind, habe man noch keine Lösung. „Ich kann sie nicht einfach vor die Tür setzen“, erklärte der Bischof, um dann noch deutlicher zu werden: Es könne jedenfalls „kein Guantanamo für kirchliche Verbrecher“ geben. Abgesehen davon stünden für ihn aber ohnehin die Opfer im Vordergrund, nachdem diese über Jahrzehnte keinerlei Gehör in der Kirche gefunden hätten, betonte der 48-Jährige. Daran wird man ihn und seinen Mitarbeiterstab an der Bistumsspitze weiter messen müssen. Manche im Saal äußerten, dass sie Ackermann, dem Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, sein ehrliches Bemühen abnehmen. Dass sich der Bischof der Kritik stellte, brachte ihm ebenfalls Anerkennung ein. Klar wurde aber auch: Es wird noch einige Zeit dauern, bis das Vertrauen wieder hergestellt ist.
von Marcus Stölb