Ein Fax mit Folgen

Völlig überraschend hat der Stadtrat eine für gestern Abend angesetzte Entscheidung über den Bebauungsplan zur Loebstraße vertagt. Quasi in letzter Minute verlangte die CDU, dass die Vorlage, die sie noch kürzlich im zuständigen Dezernatsausschuss mitgetragen hatte, zurückgestellt wird. Der Hintergrund: Am Mittwoch intervenierte Loebstraßen-Anlieger Wolfgang Natus bei der Union mit einem Schreiben, dem zufolge die von der Verwaltung favorisierte Sanierungsvariante für die Straße rund 900.000 Euro teurer käme als der Vorschlag der Interessengemeinschaft. Weder die Ratsmitglieder noch der Stadtvorstand wussten am Donnerstag, von welchem Gutachter Natus‘ Berechnungen stammen. Gegen Mitternacht schlugen die Wellen noch einmal hoch im großen Ratssaal, doch CDU, FWG und FDP setzten sich über die eindringlichen Appelle von OB und Baudezernentin hinweg.

TRIER. Am späten Mittwochvormittag ging im Notariat von Dr. Ulrich Dempfle ein Fax ein. Der Absender: Wolfgang Natus, seines Zeichens Seniorchef des gleichnamigen Trierer Traditionsbetriebs in der Loebstraße. Adressiert ist das vierseitige Schreiben an die „Stadt Trier, Baudezernat, Simone Kaes-Torchiani“. Dass die eigentliche Adressatin das Papier von Dempfle erhielt, gehört zu den nicht wenigen Eigentümlichkeiten dieses Vorgangs. In dem Schriftstück erhebt Natus schwere Vorwürfe: Von einem „deutlichen Fehlvergleich“ ist da die Rede, von „einer völlig unfachlichen Umkehrschlussfolgerung“, welche das städtische Tiefbauamt angestellt habe. Natus behauptet, dass die von der Verwaltung in ihrem Bebauungsplan vorgesehene Variante für den Ausbau der Loebstraße den Steuerzahler rund 900.000 Euro teurer käme als eine von der Interessengemeinschaft der Anlieger vorgeschlagene Lösung. Der Unternehmer belässt es indes nicht bei diesem Hinweis, sondern kündigt die „unsererseits avisierte Vorgehensweise für den Fall“ an, „dass die Stadt Trier mit aller Gewalt und auf Biegen und Brechen ihre (…) teurere Variante durchpeitschen will“. Im Klartext: Natus droht mit dem Rechtsweg, wenn seinen Vorstellungen nicht entsprochen wird.

Sein Brandbrief zeigte Wirkung: Nach Informationen von 16vor teilte Dempfle noch am Mittwochabend den Mitgliedern seiner Fraktion mit, dass er auf eine Verschiebung der für Donnerstagabend angesetzten Entscheidung über den Bebauungsplan drängen werde. Die christdemokratischen Ratsmitglieder, die in den vergangenen drei Jahren den massiven Attacken von Natus gegen Rat und Verwaltung widerstanden hatten, folgten dieser Linie – und das ungeachtet der deutlichen Warnungen der christdemokratischen Baudezernentin. Gleich zu Beginn der Ratssitzung beantragte die CDU, die Entscheidung von der Tagesordnung abzusetzen, doch fand sich hierfür nicht die nötige Zweidrittel-Mehrheit. So wurde die Vorlage schließlich nach 23 Uhr aufgerufen und sorgte für eine heftige Debatte.

Dempfle erklärte, dass er eigentlich glaube, dass die Vorlage der Verwaltung die bessere sei. Doch wolle er auch „nichts unversucht lassen“, um einen drohenden Rechtsstreit mit den Anliegern zu vermeiden. Deshalb müsse man die von Natus gelieferten Zahlen erst einmal prüfen, bevor man über den Bebauungsplan entscheide. Dabei musste Dempfle auf Nachfrage einräumen, dass weder er noch einer seiner Fraktionskollegen wissen, welches Büro Natus die Zahlen lieferte. Der Gutachter wolle nicht genannt werden, er befürchte, ansonsten keine Aufträge vonseiten der Stadt mehr zu bekommen, gab der Notar die Auskunft des Anliegers wieder.

Für Klaus Jensen ein „absolut unseriöser“ Vorgang. Der Stadtchef appellierte ebenso wie die Dezernentin, die Entscheidung über die Loebstraße nicht ein weiteres Mal zu vertagen. Kaum ein Projekt sei in den vergangenen Jahren derart intensiv und ausgiebig diskutiert worden wie der geplante Straßenausbau im Norden der Stadt. In der Tat dauern die Diskussionen und Planungen seit nunmehr drei Jahren an, mehrere Planungsbüros waren involviert, Mitarbeiter des Tiefbauamts über Wochen mit fast nichts anderem mehr beschäftigt. Im Baudezernat soll man außer sich gewesen sein, als man am Donnerstagvormittag von der sich abzeichnenden Entwicklung erfuhr. Kaes-Torchiani selbst machte am späten Donnerstagabend deutlich, dass die Zahlen offenkundig falsch seien, da wesentliche Maßnahmen wie etwa der Bau von Bürgersteigen und Bushaltestellen in den Berechnungen von Natus‘ unbekanntem Gutachter nicht auftauchten. Die Dezernentin erklärte weiter, dass eine Vertagung der Entscheidung die Realisierung des Projekts um weitere etliche Monate verzögern werde.

Schützenhilfe bekam Kaes-Torchiani von ungewohnter Seite: Er habe seine Zweifel, ob Natus wirklich an einer Lösung interessiert sei, erklärte SPD-Ratsmitglied Rainer Lehnart. Das Papier, von dem die Fraktionen erst kurz vor der Sitzung erfuhren, stecke „voller Widersprüche“. SPD-Fraktionschef Sven Teuber warnte vor einem Präzedenzfall: Die Methode Natus könne Schule machen, andere Anlieger sich künftig ermutigt fühlen, der Stadt zu drohen. Dominik Heinrich (Die Grünen) sprach von einem „ungeheuerlichen“ Verhalten, Natus betreibe „Blockadepolitik“. Heinrich weiter: „Das ist nur heiße Luft, die sich schnell wieder abkühlt, wenn die Zahlen überprüft werden“. Der CDU warf er vor, einzuknicken. Anders als die Union hatte die FWG die Vorlage der Verwaltung bereits im Vorfeld der Sitzung abgelehnt. Man sei „der berechtigten Kritik der Anlieger nicht nachgekommen“ und müsse nun verhindern, dass der Klageweg beschritten werde, so Fraktionschefin Christiane Probst.

Mit der Mehrheit von CDU, FWG und FDP wurde das Thema schließlich in den zuständigen Ausschuss zurück überwiesen. Natus und seine Anlieger haben erst einmal erreicht, was sie wollten: Sie haben erneut Zeit gewonnen.

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