„Ich habe meine SPD-Mitgliedschaft nie versteckt!“
Morgen Abend kommt der Stadtrat zu seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause zusammen. Rekordverdächtige 36 Punkte finden sich auf der Tagesordnung des öffentlichen Teils der Beratungen. Für Diskussionsstoff ist also gesorgt. Im Interview mit 16vor erklärt Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD), weshalb er das Projekt Moselaufstieg ablehnt und welche konkreten Erwartungen er an die Landesregierung hat. Der Sozialdemokrat spricht über sein Amtsverständnis und bezieht Stellung zum wiederholt geäußerten Vorwurf, er nehme es mit seinem Anspruch, ein parteipolitisch unabhängiger OB zu sein, nicht so genau. Jensen wehrt sich gegen Darstellungen, in Trier gehe nichts voran, kritisiert die Haltung von CDU und FWG bei stadtpolitischen Entscheidungen der Vergangenheit, und äußert sich auch zur Möglichkeit einer erneuten Kandidatur für das Amt des Oberbürgermeisters.
16vor: Herr Oberbürgermeister, Sie sprechen sich für einen Abschied vom Moselaufstieg aus: Welches der Argumente, die Sie jetzt gegen das Projekt ins Feld führen, war Ihnen eigentlich vor der Veranstaltung in der IHk noch nicht bekannt?
Klaus Jensen: Den Ausschlag für die Entscheidung gab eine Gewichtung der unterschiedlichen Argumente. Wenn man den Bau der Straße isoliert betrachtet, dann gibt es sehr gute Argumente für den Moselaufstieg. Es kommen aber noch andere Faktoren hinzu, deshalb hat sich die Waage zu einem ‚Nein‘ geneigt. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmt nicht, zudem wurde die Verkehrsproblematik in Zewen von vielen ausgeblendet. Zu der ohnehin schon enormen Belastung dieses Stadtteils käme noch deutlich mehr Verkehr hinzu. Außerdem werden in der Region bereits für fast eine Milliarde Euro Verkehrsprojekte gefordert und umgesetzt; beispielsweise den Hochmoselübergang, Lückenschluss A 1. Von daher wären die Realisierungschancen für den Moselaufstieg extrem gering.
16vor: Aber das meiste war doch schon bekannt, bevor Sie zu der Veranstaltung in die IHK einluden. Ist es nicht vielmehr so, dass Sie die Empfehlung, die Sie jetzt geben, auch schon vor einem Jahr hätten geben können, als Ihr Parteifreund Hendrik Hering die Diskussion über das Projekt erneut los trat?
Jensen: Ich kann nur für mich sprechen, aber für mich war die Frage Moselaufstieg wirklich unsicher. Zwar war ich skeptisch, aber wäre bei der Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen ein positives Ergebnis rausgekommen, hätte ich mich für dieses Projekt ausgesprochen. Wissen Sie, ich habe in diesem Prozess immer wieder erlebt, dass sich vor allem die Befürworter mit bestimmten Fragen nicht auseinandersetzen wollen; etwa mit der Finanzierung oder mit den erwähnten Problemen in Zewen. Ich habe den Anspruch, mich mit einem Thema intensiv auseinander zu setzen, bevor ich mich endgültig positioniere. Im übrigen finde ich die öffentliche Auseinandersetzung über solche Großprojekte fruchtbar und unverzichtbar.
16vor: Sie haben mal als Ihr Motto ausgegeben: Keine Entscheidung ohne Diskussion, keine Diskussion ohne Entscheidung. Ich habe den Eindruck, es wird viel diskutiert und manche Entscheidungen lassen weiter auf sich warten.
Jensen: Das sehe ich überhaupt nicht so! Nehmen Sie die Kulturabgabe: Das Thema habe ich in die Prüfung gebracht, bevor es die CDU auf die Agenda setzte. Ich habe entschieden, dass wir diese Abgabe erheben sollten, und ich bin auch dabei geblieben, als die CDU und auch die FWG plötzlich ’nein‘ sagten. Und ich habe auch daran festgehalten, als Klagen eingereicht wurden. Oder nehmen Sie das Beispiel Eishalle: Natürlich tut das weh, aber ich habe gesagt, wir können uns das nicht mehr leisten. Ich weiß, es kommen immer wieder Sprüche von wegen der Jensen entscheide ja nichts. Das ist einfach falsch.
16vor: Aber bei Projekten wie dem Petrisbergaufstieg oder der Kabinenbahn geht es nicht wirklich voran…
Jensen: Ich war es, der den Petrisbergaufstieg wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat. Da läuft ein Prozess der Gegenüberstellung der beiden Systeme ‚Bustrasse‘ und ‚Seilbahn‘, die infrage kommen. Der Zeitpunkt der Entscheidung ist hier halt noch nicht erreicht. Und zur Kabinenbahn: Da gibt es Verträge, und ich kann Verträge nicht einfach brechen, damit etwas schneller voran geht. Ich habe mit meiner Kollegin Frau Kaes-Torchiani entschieden, dass da etwas geschieht und dass wir das Heimfallrecht ausüben.
16vor: Mobilitätskonzept…
Jensen: Das wird Ende des Jahres vorgelegt. Aber wir warten ja auch nicht erst ab, bis das Konzept vorliegt, sondern unternehmen auch jetzt schon einige Anstrengungen für eine Stärkung des Umweltverbunds. Wir haben intensive Diskussionen in den Stadtwerken geführt, deren Verwaltungsratschef ich ja bin, und ich bin sehr froh, dass wir jetzt erstmals seit 1993 bei den Stadtbussen wieder eine Angebotssteigerung bekommen werden.
16vor: In der Beschlussvorlage des Stadtvorstands zum Thema Moselaufstieg heißt es, die Stadt erwarte nun „massive Unterstützung“ des Landes für alternative Lösungen. Was konkret heißt das beispielsweise im Hinblick auf den Bau neuer Haltepunkte entlang der Westtrasse?
Jensen: Die alternativen Lösungen für eine Entlastung der Verkehrsengpässe umfassen auch Straßenprojekte, beispielsweise bei der Ehranger Brücke. Aber im Wesentlichen geht es in der Tat um die Weststrecke. Zum einen, um innerstädtisch etwas zu machen, und dann natürlich um eine bessere Anbindung nach Luxemburg. Ich habe bereits mit dem neuen Infrastrukturminister darüber gesprochen, dass das Projekt recht bald bewertet und die Finanzierungsfrage gelöst wird.
16vor: Aber was konkret erwarten Sie von Mainz?
Jensen: Ich habe immer klar gesagt, dass die Stadt keine Bahnhöfe bauen kann. Das Land ist da absolut gefordert und wir werden in der Sommerpause die Gespräche führen. Die Reaktivierung der Westtrasse ist auch deshalb von Bedeutung, weil wir hier nicht erst in 15 oder 20 Jahren wie beim Moselaufstieg etwas zur Entlastung der Verkehrssituation beitragen können, sondern schon relativ kurzfristig.
16vor: Sie sind 2006 als unabhängiger Kandidat in den OB-Wahlkampf gezogen, haben ihre SPD-Mitgliedschaft aber nie ruhen lassen oder gar aufgegeben. War es im Nachhinein betrachtet ein Fehler, nicht gleich als SPD-Bewerber ins Rennen zu gehen?
Jensen: Nein, überhaupt nicht. Ich habe im Übrigen im Wahlkampf meine SPD-Mitgliedschaft nie versteckt, ich habe mich immer zu ihr bekannt. Aber ich habe die Linie der Unabhängigkeit konsequent eingehalten und nicht eine einzige Entscheidung getroffen, bei der ich mich von einem Parteitagsbeschluss oder durch Druck der SPD hätte beeinflussen lassen. Ich weiß, das wird immer mal wieder behauptet, aber mir konnte bis heute keiner ein konkretes Beispiel nennen, wo ich gegen meine Linie als Unabhängiger verstoßen hätte, sachbezogen zu entscheiden. Zentrale Übersteinstimmungen zwischen der SPD und mir resultieren aus gleichen Grundwerten.
16vor: Aber es hat schon den Anschein, als würden Sie die sozialdemokratisch geführte Landesregierung oder die ADD mit öffentlicher Kritik schonen? Etwa als Rot-Grün jetzt vorab Fakten in Sachen Moselaufstieg schuf.
Jensen: Da täuschen Sie sich! Ich habe beispielsweise die Meulenwaldautobahn schon abgelehnt, als sie der damalige SPD-Verkehrsminister noch forderte. Ich habe schon oft die Landesregierung kritisiert, als es um den völlig unzureichenden kommunalen Finanzausgleich ging, und gefordert, die Bedarfszuweisungen des Landes stärker von der Sozialquote abhängig zu machen. Wenn es für die Stadt wichtig ist, ist es mir egal, welche Farbe die Regierung hat. Ich bin der Oberbürgermeister der Stadt Trier, und deshalb, um noch mal auf den Moselaufstieg zurückzukommen: Ich bin sehr für regionale Zusammenarbeit mit den Landkreisen, aber als Trierer OB kann ich nicht einen ganzen Stadtteil ‚absaufen‘ lassen! Übrigens bin ich auch nicht der Position des Landes in Sachen Kohlekraft gefolgt, die eine Beteiligung in Hamm zwar auch abgelehnt hat, aber unter bestimmten Bedingungen neue Kohlekraftwerke in Ordnung fand. Ich habe die Entscheidung für die Beteiligung der Stadtwerke an dem Kraftwerk in Hamm – entgegen der Mehrheit im Stadtrat – immer für falsch gehalten und deshalb abgelehnt. Und so bitter es ist: Wegen des furchtbaren Unglücks in Fukushima und dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg der Bundesregierung bleibt uns ein finanzielles Desaster bei dieser Beteiligung wohl erspart.
16vor: Herr Jensen, Triers Höhenstadtteile wachsen weiter, auch in den Tallagen entstehen immer mehr Wohnkomplexe. Doch der bezahlbare Wohnraum für Familien ist knapp. Wie wird die Stadt hier gegensteuern?
Jensen: Durch Ausweisung neuer Wohngebiete und Bebauung von Lücken. Das Projekt Feyen spielt hier eine zentrale Rolle, hier haben wir den Grundstein für einen neuen Stadtteil gelegt. Auch die ehemalige Franzosensiedlung in der Burgunderstraße wird uns helfen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Angebot an Wohnraum noch größer wird. Zum einen, um den Bedarf zu befriedigen, zum anderen, weil nur ein Mehr an Wohnraum dafür sorgen wird, dass die Mieten bezahlbar bleiben.
16vor: Die Stadtwerke planen zum Januar eine Ausweitung Ihres Angebots. Zugleich droht nach unseren Informationen wieder eine Preissteigerung bei den Bustickets. Sehen Sie den von Ihnen geforderten Schub für den ÖPNV dadurch gefährdet?
Jensen: Ja, wenn die Erhöhung über die Kostensteigerungen bei Benzin und Personal deutlich hinaus geht. Die Stadtwerke und die Stadt fordern darüber hinaus keine höheren Preise. Es gibt allerdings im Umland Probleme aufgrund der demografischen Entwicklung. Die Zahl der Fahrschüler geht deutlich zurück. Die Verhandlungen im VRT über die Höhe der Tarife laufen noch. Ich kann deshalb jetzt nichts weiter dazu sagen.
16vor: Ein Thema, das seit Jahren ebenfalls auf der Agenda steht, ist das Erscheinungsbild des Hauptbahnhofs. Weshalb gelingt es der Stadt eigentlich nicht, wie in Koblenz, Kaiserslautern oder Mainz die Bahn AG dazu zu bewegen, den Bahnhof auf Vordermann zu bringen?
Jensen: Wir haben kein Druckmittel. Wir können immer nur an die Bahn appellieren, dass der Bahnhof den Stellenwert bekommt, den diese Stadt hat – mit ihren 105.000 Einwohnern, den mehr als vier Millionen Touristen jährlich, und einem Einzugsgebiet von einer halben Million Menschen. Da ist ganz klar die Bahn gefordert.
16vor: Die CDU-Fraktion fordert jetzt, dass Ratssitzungen künftig live übertragen werden. Unterstützen Sie als Vorsitzender des Stadtrats diese Forderung?
Jensen: Grundsätzlich schon, aber wir müssen noch eine Reihe von Fragen prüfen, beispielsweise ob das Nutzen-Kosten-Verhältnis stimmt. Der CDU-Vorschlag verdient es auf jeden Fall, ernsthaft geprüft zu werden.
16vor: Herr Oberbürgermeister, anfangs planten Sie nur für eine Amtszeit, nun halten Sie sich die Möglichkeit einer erneuten Kandidatur offen. Stand heute: Tendieren Sie dazu, noch einmal anzutreten?
Jensen: Ich halte mir das offen und das ist auch noch völlig offen. Nur so viel: Ich bin sehr gerne Oberbürgermeister.
von Marcus Stölb