„Man kann verzeihen, darf aber nicht vergessen“

Mit einer bewegenden Feierstunde ist am Montagmittag auf dem Bischof-Stein-Platz die Gedenkstätte zur Erinnerung an die während der NS-Zeit ermordeten Trierer Sinti und Roma eingeweiht worden. Aus Mainz war der Ministerpräsident gekommen, ebenso der Landeschef des Verbands Deutscher Sinti und Roma. Auch Oberbürgermeister Klaus Jensen fand die richtigen Worte, doch dann folgte die Ansprache von Christian Pfeil, dessen Leben im Konzentrationslager begann und der bis in die 90er-Jahre hinein Opfer fremdenfeindlicher Übergriffe wurde. „Damals wurde mir im Rathaus gesagt, dass es in Trier keine Rechtsextremen gäbe“, berichtete Pfeil. Ein Satz, der heute wohl keinem Trierer Politiker mehr über die Lippen kommen dürfte, weshalb der OB auch betonte, dass die Stelenreihe in die Gegenwart und Zukunft weise.  

TRIER. In den frühen Morgenstunden des 16. Mai 1940 wurden die Pfeils abgeholt: Großeltern, Eltern, sieben Geschwister, Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins. Sie alle kamen zunächst in die Polizeistation Trier-West und wurden dann in ein Sammellager in Köln gebracht. In der Domstadt musste die Großfamilie „rassekundliche Untersuchungen“ über sich ergehen lassen. Christian Pfeil war noch nicht geboren, gleich mehrere seiner Geschwister sollten die Geburt des kleinen Bruders im Januar 1944 im Konzentrationslager Lublin auch nicht mehr erleben: Clemens, Alfons, Luise und Willi wurden nach Auschwitz-Birkenau deportiert – keiner von ihnen kehrte nach Hause zurück.

Am Montagmittag tritt Christian Pfeil ans Rednerpult vor der von Professor Clas Steinmann geschaffenen Stelenreihe auf dem Bischof-Stein-Platz. Vor ihm haben schon andere gesprochen: der Oberbürgermeister, der daran erinnerte, dass die Nationalsozialisten mehr als eine halbe Million Sinti und Roma verfolgten und ermordeten. „Wir wissen, dass zu diesen Menschen auch Kinder und Jugendliche gehörten, deren fröhliche Stimmen in den Straßen der Stadt ein einziger brutaler Schlag der Nazis zum Verstummen gebracht hat“, so der OB. „Viel zu lange Zeit war dieses Verbrechen im öffentlichen Diskurs unserer Gesellschaft mehr oder weniger ausgeblendet“, beklagte Klaus Jensen und betonte einmal mehr die Pflicht zur Erinnerung. Klar sei aber auch, dass Geschichte „nur nach vorne korrigiert“ werden könne, weshalb sich die Gedenkstätte an Gegenwart und Zukunft richte. Jensen weiter: „Wir bekennen unsere Schuld, wir leisten Abbitte für die begangenen Verbrechen“. Zugleich könne „ein Tag wie der heutige aber auch ein Zeichen der Ermutigung sein. Zeigt er doch, dass unsere Bürgerschaft ‚Stellung bezieht‘ und dass sie ein lebendiges Bewusstsein vom Wert gemeinschaftlicher Verantwortung besitzt“.

Es sprach der Ministerpräsident: „Mahnen ist zu jeder Zeit unverzichtbar“, sagte Kurt Beck an die Adresse jener, die gerne den Mantel des Schweigens über die Verbrechen der Nazis legen würden oder der Meinung sind, mit der Erinnerung an die Gräuel während des „Dritten Reichs“ müsse irgendwann einmal Schluss sein. Dass „erneut Horden von Menschen mit ihren alten Parolen“ durch die Städte marschierten, sei zu verurteilen, erklärte Beck, und dass es notwendig sei, „immer wieder auf’s Neue Zeichen zu setzen“. Wie notwendig dies gerade mit Blick auf das für viele noch immer unbekannte und von manchen auch bewusst ignorierte Schicksal der Sinti und Roma ist, machte deren Landesvorsitzender deutlich. Jacques Delfeld erinnerte daran, dass die Nationalsozialisten die Papiere der Sinti und Roma einzogen und so aus Familien, die seit Jahrhunderten in Deutschland verwurzelt waren, faktisch Staatenlose machten. „Dass die Überlebenden nach dem Krieg oftmals Jahrzehnte um die Anerkennung ihrer deutschen Staatsbürgerschaft kämpfen mussten, gehört auch zu den dunkelsten Kapiteln der Nachkriegszeit“.

Lange gekämpft hatten die Sinti und Roma auch um einen Ort der Erinnerung für ihre Trierer Angehörigen, die das staatlich organisierte Verbrechen der NS-Diktatur nicht überlebten oder bis heute an den traumatischen Erfahrungen leiden, die sie in Deportationszügen und Vernichtungslagern durchmachen mussten. Bereits vor 14 Jahren war der Verband der Sinti und Roma an die Stadt herangetreten mit der Anregung, eine Gedenkstätte zu errichten. „Lange Zeit habe ich nicht daran geglaubt, dass ich mit einigen meiner Familienangehörigen dabei sein kann, wenn in Trier ein Ort des Gedenkens errichtet wird, der an das Schicksal meiner und anderer Sinti und Roma-Familien erinnerte“, räumte Christian Pfeil in seiner Ansprache offen ein und fuhr fort: „Ich habe auch nicht daran geglaubt, weil ich als Trierer Bürger von Rechtsextremen angegriffen worden bin“.

Pfeil berichtete sodann, dass er bis 1995 in Trier ein Restaurant führte und dort auch Konzerte veranstaltete. Er selbst ist Sänger und schrieb Lieder über das „Dritte Reich“ – in der Sprache Romanes. Hierüber berichtete 1994 das Fernsehen, was für Pfeil schwerwiegende Folgen haben sollte. Denn fortan erreichten ihn Droh- und Schmähanrufe, bis dem heute 68-Jährigen  schließlich von einem anonymen Anrufer angekündigt wurde, dass man die Einrichtung seines Restaurants kurz- und kleinschlagen werde. So kam es dann auch. „Was für mich das Schlimmste war und immer noch ist – die Wände und mein Klavier waren mit Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert“. Er und seine Angehörigen hätten in dieser Zeit schlimmste Ängste durchlebt. Doch Pfeil ließ sich nicht einschüchtern, brachte sein Restaurant wieder auf Vordermann und musste erleben, wie dieses nur vier Monate nach dem ersten Überfall erneut verwüstet wurde. Die Täter wurden nie gefasst.

„Von Justiz und Politik habe ich keine Unterstützung erfahren. Im Gegenteil: Damals wurde mir im Rathaus gesagt, dass es in Trier keine Rechtsextremen gäbe“. Pfeil dachte daran, die Stadt zu verlassen und ins Ausland zu gehen – „aber hier ist eben meine Heimat, weil auch meine Familie seit über hundert Jahren in Rheinland-Pfalz beheimatet ist“.  Seinen Zuhörern gab Pfeil am Montag noch eine Mahnung mit auf den Weg: „Man kann verzeihen, aber es darf nicht vergessen werden“.

Nun gibt es die Stelenreihe, gleich neben dem Dom. An die Adresse des Künstlers erklärte OB Jensen: „Sie haben mit dieser Gedenkstätte einen Ort der Zuflucht geschaffen, der mitten im Herzen der Stadt liegt und der in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr übersehen werden kann. Dass dieser Ort an einer direkten Achse auf das ehemalige Judenviertel gegenüber dem Hauptmarkt hin liegt, werden Einheimische und Touristen rasch bemerken“.

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