„Das ist wirklich der Netteste“

Für viele Nutzer des Trierer Nahverkehrs ist Detlef Sibernik der freundlichste Busfahrer der Stadt. Unter Studenten genießt die fahrende Frohnatur Kultstatus. Ungezählte Fahrgäste hat der gebürtige Neubrandenburger, der heute Geburtstag feiert, schon mit seinen originellen Ansagen über die „Flüstertüte“  (O-Ton Sibernik) erheitert. Heute feiert er seinen 56. Geburtstag. Ein Anlass mehr, ihn vorzustellen. 16vor sprach mit dem Busfahrer, der vor zwei Jahrzehnten von Greifswald in die Region Trier zog, über seinen Beruf, das Leben und ein Zauberwort, das Türen öffnet.   

TRIER. „Da ist mir dann der Kragen geplatzt“, sagt Detlef Sibernik, und für einen Moment glaubt der Reporter, sich verhört zu haben. Es muss schon einiges passieren, bis der freundliche Mann mit dem weißen Bart aus der Haut fährt.

Sibernik war erst wenige Wochen auf einer Linie der Moselbahn im Einsatz, da passierte es. Schon in den Tagen zuvor hatte er, wenn auch nur mit halbem Ohr, die Gespräche seiner zumeist älteren Fahrgäste mitgehört. „Ich musste mich ja auf meine neue Arbeit konzentrieren, aber einiges bekam ich dann doch mit“, erinnert er sich. Hinter seinem Rücken vernahm er Formulierungen wie „kalte Wohnungen“ und „nichts zu essen“. Irgendwann dämmerte ihm, von welchem Land die Businsassen sprachen. Da sei es ihm dann zu bunt geworden, erzählt er und berichtet: „Am Hauptbahnhof habe ich den Bus abgestellt und die Türen zu gelassen. Dann hab ich gesagt: Leute, was redet ihr da für einen Mist?! Ihr redet über die DDR, obwohl ihr keine Sekunde drüben ward“. Den mächtig verdutzten Fahrgästen gab Sibernik noch mit auf den Weg: „Wenn ihr was wissen wollt‘, dann fragt mich doch einfach. Ich hab‘ fast 35 Jahre da gewohnt“. Tatsächlich nahmen einige die Einladung an. In den folgenden Wochen erkundigten sie sich, wie das denn gewesen sei, damals, in der DDR.

Seit zwei Jahrzehnten leben Sibernik und seine Frau in der Region. Anfangs kamen sie als Urlauber, in Detzem an der Mosel hatten sie Quartier bezogen. „Ich denk mir, mein Gott, was ist das schön“, berichtet der Busfahrer von seinem ersten Eindruck. Liebe auf den ersten Blick sei es gewesen, noch einige Male kamen sie nach Detzem. Als Sibernik arbeitslos war und es nur eine Frage der Zeit war, bis auch seine Frau ihren Job verlieren würde, rieten ihnen Wirtsleute, es doch mal hier mit der Stellensuche zu versuchen.

Sibernik ging zum Trierer Arbeitsamt, das gerade eine Stelle als Busfahrer bei der Firma Zarth im saarländischen Wadern anbot. Der Zufall wollte es, dass er beim Verlassen des Arbeitsamts auf einen abgestellten Zarth-Bus stieß. „Da dacht ich mir: Bist ja nicht auf den Mund gefallen, jetzt fragst du den mal“. Im Bus saß ein jüngerer Fahrer. Sibernik fragte dies und das und wollte schließlich auch wissen, was denn der Chef für ein Typ sei. „Ich bin der Chef“, antwortete ihm da sein Gegenüber. „Das ist gleich wie Topf und Deckel gewesen“, sagt Sibernik; noch heute muss er herzlich lachen über die Episode.

Wer ist der Fahrer auf der Linie 83?

Die Firma Zarth kann sich glücklich schätzen, einen wie ihn an Bord zu haben. Im Auftrag der Stadtwerke bedient das Unternehmen einige innerstädtische Linien, darunter jene zum Tarforster Uni-Campus.  Längst hat es Sibernik auf dieser Strecke zu einiger Berühmtheit gebracht. Als Norbert Freischmidt kürzlich mit dem Bus unterwegs war, reihte er sich ein in den Reigen der Sibernik-Fans. Auf Facebook postete der Gastronom: „Liebe #SWT #Trier! Wer ist der Fahrer gerade auf der Linie 83? Weiße Haare, Bart… Von wegen unfreundliche Busfahrer. Der Mann ist welt!“. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: „Oh ja den kenne ich :-) Klasse Typ. Hat mir schon oft mit so einer kleinen Aufmerksamkeit ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert, welches den ganzen Tag blieb!“, postete eine von Freischmidts Facebook-Freundinnen. „Ich weiß nicht wer er ist, aber ich kenne ihn. Der Mann ist eine Legende und macht seiner Fraktion alle Ehre (und viele schlechte Erfahrungen wieder wett). Ich kann mich an einige Situationen mit ihm erinnern, in denen mir vor Ehrfurcht einfach nur die Kinnlade runterfiel. Chapeau und weiter so!“, postete ein anderer. „Und jetzt bitte alle Fahrgäste mal nach rechts schauen, ist das nicht ein herrlicher Sonnenuntergang…“, steuerte ein weiterer Facebook-User einen von Siberniks fast schon legendären Ansagen bei.

Der Busfahrer freut sich, als der Reporter ihm von den Reaktionen berichtet. „Die Leute merken, dass man freundlich ist“, sagt er bescheiden. Dabei war seine Freundlichkeit für manche gewöhnungsbedürftig. Als er begann, über die Bordsprechanlage den aktuellen Stand des Lotto-Jackpots durchzugeben, sorgte er noch für irritierte Blicke. „Die kannten das nicht, die haben mich angeguckt, als sei ich ein grünes Marsmännchen.“ Er ließ sich nicht beeindrucken, machte weiter. Als an einem sonnigen Tag am Himmel über Ehrang Dutzende Heißluftballons auftauchten, fuhr er kurzerhand ein zweites Mal um einen Kreisel – um den Fahrgästen noch einmal den schönen Anblick zu ermöglichen. Als vor zwei Jahren der Vulkan Eyjafjallajökull ausbrach und über großen Teilen Europas den Flugverkehr zum Erliegen brachte, ermunterte Sibernik seine Fahrgäste: „Jetzt guckt mal nach oben! Was seht ihr da?“ Bekanntlich sah man nichts, außer blauem Himmel. „Seht ihr, dann genießt das jetzt mal. Denn wann werdet ihr nochmal einen Himmel ohne Kondensstreifen sehen?“.

„Detlef, die Kiste kann nicht fliegen“

Für Menschen wie Sibernik braucht es keine Kundenzufriedenheitsseminare, der Mann hat einfach Spaß an seiner Arbeit. Dabei ist er mehr als nur eine berufszufriedene Frohnatur. Im Gespräch bekommt man eine Ahnung von seiner grundsätzlichen Lebenseinstellung; von seiner Dankbarkeit für das, was er hat. Sibernik schwimmt nicht im Geld und hat schon einige Krisen meistern müssen, doch gewinnt er dem Leben vor allem seine positiven Seiten ab. Sich mit Dingen aufhalten, die er nicht ändern kann, hat er sich längst abgewöhnt. Gerät er mit seinem Bus in einen Stau, nimmt er es gelassen: „Ich sag mir dann: Detlef, du kannst ja mit der Kiste nicht fliegen“.

Hat Sibernik Frühschicht, steht er um Viertel vor drei auf. Vom saarländischen Sötern gehts nach Trier, bis gegen 15 Uhr dauert die Schicht. Um ausreichend Schlaf zu haben, muss er schon gegen acht ins Bett. Die wenige Zeit, die ihm vom Tag noch bleibt, verbringt er mit seiner Frau und dem Hund. Sibernik ist das, was man einen geerdeten Menschen nennt. Er freut sich an den kleinen Dingen des Lebens. Als ein Fahrgast ihm einmal als Dankeschön eine Flasche 20 Jahre alten weißen Bordeaux schenkte, hat ihn das fast überfordert und ziemlich gerührt.

Sibernik macht auch keine Unterschiede. „Jeder macht doch seine Arbeit und wird gebraucht; ob jetzt jemand die Toilette putzt oder in der Bank arbeitet“, sagt er und ergänzt: „oder fünf Doktortitel hat“. Dünkel ist ihm zuwider. Natürlich gebe es Fahrgäste, die meinten, sie seien etwas Besonderes. „Die steigen hier vorne ein und da hinten wieder aus“, sagt er lakonisch. Freundlichkeit ist für ihn auch keine Einbahnstraße. „Das Wort ‚bitte‘ ist bei mir immer dabei“, betont er, das sei sein „Zauberwort“. Ist ein Bus stark besetzt, gibt es zwei Versionen von Ansagen: „Bitte durchrücken“, mit einem etwas genervten Unterton ausgesprochen. Oder die sibernikche Variante: „Es gibt im deutschen Sprachgebrauch ein Wort, das heißt ‚Durchrücken‘. Und das tun wir dann auch bitte“.

„Das ist wirklich der netteste. Wenn frau mit dem fährt, steigt sie eigentlich immer mit einem Lächeln im Gesicht aus dem Bus .. Es gibt natürlich auch noch einige wenige andere, die nett sind, aber dieser weißhaarige, bärtige Mensch ist der netteste :-)“, postete dieser Tage eine Leserin auf dem 16vor-Facebook-Profil.

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