Stumme Zeugen unter Trierer Pflaster

BunkerZutritt_PersonenschleuseAuch wenn der Kalte Krieg mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt, übertreffen die damaligen Szenarien noch heute die Vorstellungskraft. Bis Ende der 80er Jahre wurden Verteidigungsfall und Atomkrieg immer wieder im Rahmen von NATO-Planspielen simuliert. Die blieben – zum Glück – nur Theorie. Weniger theoretisch sind hingegen die architektonisch sichtbaren Spuren jener Zeit, und diese findet man auch in Trier – unter der Erde. In Tiefgaragen trifft man noch heute auf Suppenkellen, Notstromaggregate, Luftfilter und druckertüchtigte Türen. Unter dem Pflaster des Viehmarkts etwa hätten gleich mehrere tausend Menschen Schutz vor radioaktivem Regen finden sollen. 

TRIER. An Sommertagen bevölkern ungezählte Menschen die Terrassen auf dem Viehmarktplatz, zweimal wöchentlich findet hier der Wochenmarkt statt. Was die wenigsten wissen: Sie flanieren über eine der größten Bunkeranlagen der Stadt. Die wahre Dimension der Tiefgarage unter dem Platz ist den wenigsten bewusst. Sie wurde gegen Ende des Kalten Kriegs als Schutzraum konzipiert und ist damit ein stummer Zeuge jener Epoche, in der sich Ost und West mit gigantischen atomaren Waffenarsenalen gegenüberstanden.

Das Beispiel Viehmarkt zeigt, wie enorm die Auswirkungen der Planspiele des Kalten Kriegs auf die Stadtplanung waren. Der Bund plante die Tiefgarage – eine sogenannte Mehrzweckanlage – in den späten 80er Jahren nicht nur als reine Parkgarage, sondern auch als Zivilschutzanlage. Durch die Entdeckung der römischen Viehmarktthermen verzögerte sich allerdings ihr Bau, weswegen die Geschichte über das Projekt hinweg ging. Denn dieser begrenzt ABC-fähige Bunker wurde erst nach 1993 fertiggestellt, drei Jahre nach der Wiedervereinigung.

BunkerNetzersatzanlageNEABis zu 4000 Trierer sollten im Ernstfall eines atomaren Angriffs auf das Stadtgebiet oder umliegende Militärstützpunkte unter dem Viehmarkt Schutz vor radioaktivem Fallout und Bombendruckwellen finden. Die Strom- und Wasserversorung hätte dann autark erfolgen müssen, wäre die Infrastruktur doch mit das erste gewesen, was einem Krieg zum Opfer gefallen wäre. In notdürftig herbeigeschafften Pritschen sollten die Schutzsuchenden auf den beiden Parkdecks etwas Schlaf finden können. Dabei lässt sich nicht von Privatsphäre oder irgendwelchem Komfort sprechen, zu deutlich zeigen das die noch heute sichtbaren Toiletten-Anschlüsse vor manchen Parkplätzen: Die Menschen hätten sich ihren wenigen Platz mit provisorisch eingerichteten Küchen, Duschen und WCs teilen müssen, vom Schlafbereich nur durch davor gehangene LKW-Planen getrennt.

So minimalistisch wie das Überleben in einer solchen Anlage wäre auch der tatsächliche Schutz gewesen. Autor Christoph Lubbe zeigt in seinem neuen Buch „Bunker aus dem kalten Krieg“ auf, was eine Zivilschutzanlage bieten kann: Zumeist gibt es hier nur einen sogenannten „Grundschutz“, was eine Absicherung vor herabfallenden Trümmern und Druckwellen bis zu 0,3 Bar Stärke bedeutet – also eine Belastung von 3 Tonnen auf den Quadratmeter. Tonnenschwere Bleibetontore und spezielle Luftfilter aus Sand und Aktivkohle sollten das Eindringen radioaktiver Strahlung verhindern.

Noch heute können Nutzer der Tiefgarage die massiven Tore sehen, die Luftfilter hingegen liegen in verschlossenen Räumen neben den Parkdecks. Auch die Personenschleusen sind für jeden Besucher sichtbar. Denn dort, wo der Zugang zur Tiefgarage nicht über Betontore erfolgt, gelangt man durch jeweils zwei ebenfalls druckertüchtigte Stahltüren ins Innere. Die Schleusentüren sollten dabei durch ihre gegenseitige Verwinkelung ebenfalls vor Strahlung schützen. So groß der Aufwand auch war – einem Volltreffer würde eine Bunkeranlage wie am Viehmarkt nicht standhalten. Ihre spartanische Auslegung entspricht vielmehr einem vorläufigen Schutz vor den Konsequenzen, die atomare Bombardierungen in der Umgebung angerichtet hätten. Und auch hier hätte der Schutz allenfalls wenige Wochen getaugt.

BunkerBelueftungsturmNeben der Viehmarktgarage verfügt Trier über mehrere verbunkerte Schutzanlagen für die Bevölkerung. So sind auch die Tiefgarage Mustorstraße bei der Kreisverwaltung und drei weitere Komplexe bei der Berufsbildenden Schule (BBS) für den Zivilschutz ertüchtigt. Insgesamt hätten damit – laut der Datenbank des Portals geschichtsspuren.de – um die 11.000 verbunkerte Schutzplätze zur Verfügung gestanden. Nur etwa jeder zehnte Trierer wäre damit untergekommen. Laut Schutzraumkonzept des Bundes war der Bau solcher Anlagen denn auch nur als Ergänzung zu bestehenden privaten oder firmeneigenen Bunkern gedacht. Das Problem: Kaum jemand hatte überhaupt eigene Schutzplätze. Der private Bunkerbau wurde zu Zeiten des Kalten Kriegs zwar öffentlich bezuschusst, war aber nie verpflichtend. „Im Ernstfall hätte das aber niemand mehr kontrolliert. Wer rechtzeitig da ist, kommt rein“, erklärt Amtsleiter Herbert Albers-Hain von der Berufsfeuerwehr Trier das eher simple Prinzip. Nach offizieller „Stay put“-Doktrin sollten die Menschen ohnehin zum Zuhause-bleiben animiert werden: „Aus Sicht der militärischen und zivilen Verteidigung wäre ‚Stay put‘ die gewünschte Verhaltensweise gewesen – sofern keine koordinierte Räumung veranlasst worden wäre. Aber ob ‚Stay put‘ aus Sicht der Bevölkerung besser gewesen wäre, kann man nicht beantworten“, so Christoph Lubbe.

Heute beschäftigt sich kaum noch jemand mit solchen Fragen, der Kalte Krieg ist Geschichte. Was bleibt, sind dessen Spuren in und unterhalb der Stadt. Im Fall Viehmarkt sind diese in einem erstaunlich guten Zustand. Für den Katastrophenschutz im Hier und Jetzt taugt die Anlage dagegen nicht sonderlich, auch wenn die Schutzvorkehrungen vor radioaktivem Fallout schnell an einen möglichen GAU in Cattenom denken lassen. Feuerwehrchef Albers-Hain dementiert das jedoch heftig: „Die Bunker wurden nur für den Verteidigungsfall gebaut. Für die Stadt Trier werden von der ADD grundsätzlich Evakuierungspläne vorgehalten, auf die auch in einem Störfall zurückgegriffen werden könnte. Jedoch wäre die Evakuierung in einen Schutzraum keine sinnvolle Maßnahme, da man für die Einrichtung mehrere Wochen Vorlaufzeit benötigt. Die stünde in einem akuten Fall nicht zur Verfügung.“ Denn im Kalten Krieg ging man davon aus, dass einer militärischen Auseinandersetzung ein wochenlanges oder mitunter jahrelanges Vorspiel vorausginge – erst der Krisenfall, dann ein Spannungsfall, und erst am Schluss der „V-Fall“. Diese Zwischenzeit sollte der mittlerweile aufgelöste Schutzraumdienst des THW nutzen, um die Räume überhaupt erst für die Belegungen vorzubereiten – also Betten aufzubauen und Vorräte heranzuschaffen. Selbst Duschen und Toiletten hätten erst installiert werden müssen. Im Falle eines GAUs also ein eher unrealistisches Szenario.

BunkerBleibetontor_links2Dennoch wird die technische Ausstattung der Viehmarkt-Bunkeranlage nach wie vor erhalten. So testen und warten die Stadtwerke die beiden Notstromdieselaggregate mehrmals im Jahr. Selbst die Tanks sind noch immer mit der Erstbetankung gefüllt. Unter anderem sollen die Motoren bei gewöhnlichen Stromausfällen einspringen. Für die Stadt stellt sich trotzdem eine grundsätzliche Frage nach der Erhaltung dieser technischen Infrastruktur. Vielleicht orientiert man sich weniger am konkreten Nutzen, sondern macht sich über den mittlerweile historischen Wert Gedanken. Denn Bauwerke wie solche Atombunker vermögen es, späteren Generationen anschaulich die Angst vor der Vernichtung Mitteleuropas zu erklären – eine Angst, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrere tausend solcher Anlagen entstehen ließ. Nicht zuletzt verdeutlichen der Verein „Berliner Unterwelten“ oder die Dokumentationsstätte Regierungsbunker im Ahrtal mit ihren 80.000 Besuchern im Jahr, dass die Aufarbeitung dieser Epoche bereits heute ein nicht unerhebliches öffentliches Interesse hervorruft.

16vor-Mitarbeiter Marcel Pinger ist Gästeführer in der Dokumentationsstätte Regierungsbunker in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Literatur: Lubbe, Christoph. Bunker aus dem Kalten Krieg: Wie Westdeutschland den 3. Weltkrieg überleben wollte. Motorbuch Verlag, 2013.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.