Die dunklen Kapitel der Romika-Geschichte

Vor einem Jahr veröffentlichte Heinz Ganz-Ohlig auf 16vor einen zweiteiligen Aufsatz über die weitgehend in Vergessenheit geratenen Anfangsjahre der Romika. Über Jahrzehnte hatten die späteren Eigentümer nicht nur die Ursprünge und wahren Gründer des Unternehmens verschwiegen, sondern auch mehrere dunkle Kapitel der Firmengeschichte ausgeklammert; unter anderem die perfide Strategie, die Romika in den Konkurs zu treiben, um sie dann zu „arisieren“. Nun hat Ganz-Ohlig seine Recherchen als Buch vorgelegt. Das Werk liefert nicht nur einen außerordentlich interessanten Beitrag zur regionalen Wirtschaftsgeschichte, sondern rückt auch den langjährigen Eigentümer Hellmuth Lemm, der in und um Gusterath-Tal zu Lebzeiten eine Legende war, in ein anderes Licht.

TRIER. „Die Marke Romika hat eine äußerst interessante Geschichte, die bereits in den 1920er Jahren ihren Ursprung hat“, heißt es auf der firmeneigenen Homepage jenes Unternehmens, das einmal eine Institution war – und einer der ganz wenigen industriellen Betriebe im über Jahrhunderte strukturschwachen Raum Trier. In den 50ern und 60ern, den Spitzenzeiten, beschäftigte der Schuhhersteller bisweilen mehr als 2.800 Mitarbeiter und galt damit als einer der größten privaten Arbeitgeber in der Region. Man entwickelte neue Sportschuhe, erzielte Absatzerfolge und produzierte an immer mehr Standorten – die Zeichen standen auf Expansion. Bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts die Insolvenz folgte und die Josef Seibel Gruppe aus der Konkursmasse die Romika Shoes GmbH formte. Die kommt heute mit einem Bruchteil des einstigen Mitarbeiterstamms aus.

Seine Ursprünge hat das Unternehmen in Gusterath-Tal, und eine Formulierung wie die oben genannte suchte man lange vergebens in der Firmenhistorie. Der langjährige geschäftsführende Inhaber Hellmuth Lemm hatte die Gründung der Schuhfabrik auf 1936 datiert – dem Jahr, ab dem er die Geschicke des Unternehmens leitete. Lemm hatte so einen wesentlichen Abschnitt der Firmengeschichte unterschlagen, die „Vorgeschichte“ der Romika wurde von ihm bis zu seinem Tod 1988 weitgehend ausgeklammert. Kein Wort davon, woher der Name „Romika“ stammt und wie es den Gründern erging – damals, während der Zeit des Nationalsozialismus. Der Theologe und ehemalige Buchhändler Heinz Ganz-Ohlig, der heute als Religionslehrer arbeitet, hat nun Licht in dieses dunkle Kapitel Unternehmensgeschichte gebracht. In seinem im Rahmen der Schriften des Emil-Frank-Instituts erschienenen und bei Paulinus verlegten Buch „Romika – ‚Eine jüdische Fabrik'“ schildert er die Hintergründe, die Lemm und seine Mitstreiter verschwiegen.

Seinen Namen hat die Romika von den drei Firmengründern Hans Rollmann, Carl Michael und Karl Kaufmann. Rollmann absolvierte in der Schuhfabrik seines Vaters, bei Rollmann & Mayer in Köln, seine Lehre und arbeitete anschließend im Ausland, bevor er in den väterlichen Betrieb einstieg. Auf der Suche nach Expansionsmöglichkeiten wurde er in Gusterath-Tal fündig, hier gründete er gemeinsam mit einem langjährigen Angestellten von Rollmann & Mayer, Carl Michael, und dem um einige Ecken mit ihm verwandten Kaufmann die Romika und wurde deren Mehrheitsgesellschafter. Die Firmengründung sollte sich zunächst als Erfolgsgeschichte entwickeln. Anfang der 30er zählte man in Gusterath-Tal bereits mehr als 1.000 Mitarbeiter. Doch nur kurze Zeit später dann der Anfang vom Ende: Adolf Hitler und das NS-Regime kommen an die Macht, Rollmann und Kaufmann bekommen Probleme. Beide sind Juden, und wegen seiner engen Partnerschaft mit Kaufmann und Rollmann gilt der Dritte im Bunde, Carl Michael, als „jüdisch verseucht“, wie es im Nazi-Jargon heißt.

Heinz Ganz-Ohlig zeichnet en detail die weitere Entwicklung nach und erläutert, mit welch perfider Strategie die Nationalsozialisten die „erste“ Romika in den wirtschaftlichen Ruin trieben, um so die Weichen für eine „Arisierung“ stellen zu können. Im Werk kam es fortan zu „gesteuerten Unruhen“, schreibt der Autor, insbesondere gegen Kaufmann schürten die Nationalsozialisten den Hass. Kaufmann habe sich zulasten des Unternehmens bereichert, deshalb müssten nun Mitarbeiter entlassen werden. Dank seiner umfassenden Recherchen gelingt es Ganz-Ohlig, überzeugend darzulegen, wie die Romika systematisch in den Konkurs getrieben wurde. Damit wiederlegt er auch Lemms Legende, die „alte“ Romika sei allein aus wirtschaftlichen Gründen gescheitert. Dass Rollmann wie auch Kaufmann schon früh auf Seiten der politischen Gegner der Nationalsozialisten standen, verschärfte ihre ohnehin wenig aussichtsreiche Lage. Beide verließen schließlich mit ihren Familien das Deutsche Reich. Die Kaufmanns flüchteten nach Haifa, doch wirtschaftlich wird Karl nie wieder Boden unter die Füße bekommen. Er stirbt 1952 in New York, wohin er zwischenzeitlich übergesiedelt war. Hans und Marie Rollmann gelingt die Flucht nach Belgien, doch als Wehrmacht und SS 1940 auch dort einfallen, nimmt sich das Ehepaar im nordfranzösischen Calais das Leben.

In Gusterath-Tal war derweil der Weg frei für eine Neugründung der Romika, und es trat nun ein Mann auf den Plan, der es später in und um Trier zu einigem Ansehen schaffen soll, obschon er tief im nationalsozialistischen Sumpf verstrickt scheint: Hellmuth Lemm. Anfangs noch als einer der beiden angestellten Geschäftsführer tätig, wird er 1938 größter Anteilseigner der Romika. „Jüdisches Verbrechen an deutschen Arbeitern wiedergutgemacht“, titelt das Trierer Nationalblatt schon im März 1936. Das Unternehmen erlebt einen lang anhaltenden Aufschwung, in Vergessenheit geraten derweil die Ursprünge der Firma. Über Lemm heißt es in einem „Beurteilungsbogen für den Leistungskampf der deutschen Betriebe 1938/39“ wörtlich: „Er besitzt unbedingt die Betriebsführereigenschaft und kameradschaftliche Einstellung gegenüber der Gefolgschaft“. War Lemm ein glühender Nationalsozialist? Mitglied der NSDAP war er, aber das waren viele seinerzeit.

Doch der Romika-Chef schwang auch Reden, ganz im Geiste des „Führers“. So beklagt er bei einer Ansprache im Trierer  Treviris-Saalbau: „Nur aus chaotischen Zuständen, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt, konnte sich das Weltjudentum zur Herrschaft durchringen“. Lemm weiter: „Es ist das unvergängliche, geschichtliche Verdienst der nationalsozialistischen Bewegung, die sich auf den Gedanken unseres Führers aufbaut, durch eine klare Kampfansage, durch einen Kampf bis zur Vernichtung, bis das Grundübel gekennzeichnet und beseitigt war und damit Deutschland und Europa die Wege geebnet zu haben zu einem ruhigen wirtschaftlichen Aufbau, Wohlstand und vor allem zu sozialer Gerechtigkeit“. Spricht so ein Mitläufer? Fakt ist: War Lemm Anfang 1948 im Entnazifizierungsverfahren noch als „Nutznießer des nationalsozialistischen Systems“ eingestuft und das Betreten der Romika verboten worden, so hatte sein Widerspruch hiergegen Erfolg – nun wurde er lediglich als „Mitläufer“ gesehen und musste eine Buße von 10.000 Reichsmark zahlen.

Lemm wird fortan weiter schalten und walten in Gusterath-Tal, und es wird ihm gelingen, dass auch viele Jahre nach seinem Tod wenig Licht in die dunklen Kapitel der Firmengeschichte gebracht sein wird. Nicht nur, dass die tatsächlichen Gründer und Hintergründe der Romika unerwähnt bleiben – das Unternehmen stellt sich über Jahrhunderte auch nicht seiner Verantwortung für die Beschäftigung Hunderter Zwangsarbeiter; im SS-Sonderlager Hinzertz unterhielt die Romika gar eine eigene Baracke. Erst nach öffentlichem Druck der Trierer Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF) trat man im Jahr 2000 dem Entschädigungsfonds bei. Da ist Lemm schon lange tot. Der Mann, dem laut Ganz-Ohlig „großes unternehmerisches Geschick und ein großer Arbeitseinsatz nachgesagt“ wurden, war im Ruwertal und im Hochwald eine lebende Legende, vor allem in Gusterath und Pluwig profitieren die Familien vom Erfolg des Unternehmens. 1993, fünf Jahre nach Lemms Tod, verlegte die Firma ihren Stammsitz nach Trier, wo heute weniger als 100 Menschen arbeiten. Ganz-Ohlig beantwortet in seinem Buch nicht alle Fragen, manches bleibt offen und liefert weiterhin Stoff für umfangreiche Recherchen. So schlägt der Autor vor, die Romika Shoes GmbH solle durch die Vergabe eines Forschungsstipendiums eine weitere Erforschung des Kapitels Zwangsarbeit unterstützen.

Mit seiner etwas anderen „Firmenchronik“ liefert der Ganz-Ohlig einen wichtigen Beitrag zur regionalen Wirtschaftsgeschichte. Detailliert, sehr gut lesbar und ansprechend gestaltet, zeichnet sein Buch die Historie eines der ehemals bedeutendsten Unternehmen der Region nach. Sehr hilfreich für den Leser sind die kurzen und gut verständlichen Exkurse, eingestreut in und abgesetzt vom Fließtext, in denen wichtige Begriffe und Akteure erklärt werden. Am Ende seines Buchs zitiert Ganz-Ohlig einen ehemaligen Ortsbürgermeister aus dem Ruwertal: „Manche Mitbürger meinen vielleicht, man würde Dreck auf die glanzvollen Jahre der Romika werfen. Ich finde diese Erinnerungsarbeit aber sehr wichtig, denn sie beseitigt den Dreck, den andere hinterlassen haben“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Heinz Ganz-Ohlig, Romika – „Eine jüdische Fabrik“, 224 Seiten, Festeinband mit zahlreichen Abbildungen, Trier 2012, Verlag Paulinus; ISBN 978-3-7902-1902-9. Hinweis: Bis zum 31. Januar 2013 ist das Buch noch zum Subskriptionspreis von 24,90 Euro erhältlich, danach 29,90 Euro.

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