Das neue „Drüben“

Illustration: Teresa Habild„Geh doch nach drüben!“, hieß es früher gerne mal, wenn einem hier etwas nicht gefiel. „Drüben“, das war für Westdeutsche eine (wenn auch reichlich unattraktive) Alternative: Ein Nachbarland, in dem so etwas Ähnliches wie Deutsch gesprochen wurde, in dem der Staat alle mit dem Nötigsten versorgte (und auch nur damit) und in dem eine einzige Partei 40 Jahre lang ununterbrochen regierte. Nach drüben, zu den Pepita-Hut-Sozialisten, wollte dann aber doch (nicht nur aus ästhetischen Gründen) lieber niemand. Ein weiterer Teil der Trier-Luxemburg-Kolumne „Pendler pauschal“.

Aber obwohl die DDR mittlerweile verschwunden ist, kann der, dem es hier nicht passt, immer noch nach drüben gehen. In ein gelobtes Land, in dem – so erzählt man es sich zumindest zwischen Mötsch und Messerich, Manderscheid und Mettendorf – Milch und Kachkéis fließen. In ein Nachbarland, in dem auch so etwas Ähnliches wie Deutsch gesprochen wird, in dem der Staat alle mit dem Nötigsten versorgt (und nicht nur damit) und in dem eine einzige Partei 60 Jahre lang fast ununterbrochen regierte. Ein Staat zudem, der aus Arbeitern und Bauern quasi über Nacht Beamte machte. Der Traum jedes vom langen Marsch durch die Institutionen müde gewordenen und ausgezehrten Ex-Kommunisten, Ex-Trotzkisten und Ex-Maoisten also.

Als kommunistisch gilt das großherzogliche „Ländchen“ dabei trotzdem wahrlich nicht. Es gibt zwar eine kommunistische Partei (die KPL), die hat aber mit umstürzlerischen Umtrieben in etwa so viel am Hut wie eine lendenlahme Katze mit dem Mäusefangen. Manchmal denkt sie wahrscheinlich noch daran, dann fällt ihr allerdings auch schon wieder der schön gefüllte Kühlschrank ein und sie dreht sich doch noch einmal auf der warmen Ofenbank um – beschließt aber, einmal im Jahr einen „internationalen Kampftag der mäusefangenden Klasse“ zu begehen – als Ausgleich sozusagen.

Außerdem wird die KPL von Gertrud, Ali, Babette und Jos Ruckert eher wie ein alteingesessener Familienbetrieb geführt, wie eine hauseigene Manufaktur für Arbeiterkampfromantik denn wie eine revolutionäre Kaderorganisation von der der Sturm aufs großherzogliche Palais zu erwarten wäre. Vom Staat wird die KPL zudem tüchtig alimentiert. Denn die Kommunistische Partei Luxemburgs gibt die Zeitung vum Letzebuerger Vollek heraus, eine Tageszeitung, die – wie alle anderen Zeitungen in Luxemburg auch – vom Staat Pressebeihilfe bezieht und die damit ihre Produktion und den Unterhalt ihrer Redakteure bestreitet. Luxemburg ist damit sozusagen – neben Kuba, Nordkorea und China – das einzige Land, das sich eine staatlich subventionierte kommunistische Partei leistet.

Dafür hält die KPL wiederum den luxemburgischen Geheimdienst (den SREL) beruflich über Wasser. Ohne Kommunisten wüssten die SRELer gar nicht, wen sie überwachen sollten. Zwischenzeitlich war deren Unterbeschäftigung sogar so gravierend, dass sie ihre Spitzeltätigkeit auch auf die Luxemburger Grünen ausgeweitet hatten und außerdem Gespräche mit Jean-Claude Juncker zum Thema „Bombenleger“ (eine bis heute ungeklärte Anschlagserie aus den 80er Jahren) mit Hilfe einer James-Bond-mäßig präperierten Uhr mitschnitten. Diese Mitschnitte verschlüsselte der hauseigene Geheimdienst-„Q“ dann so gekonnt, dass sie vom SREL selbst nicht mehr zu dekodieren waren und ans FBI geschickt werden mussten.

Danach beschloss der SREL, den luxemburgischen Generalstaatsanwalt, der Licht in die Bombenleger-Affäre bringen wollte, mit erfundenen Pädophilie-Vorwürfen in Verlegenheit zu bringen, Beweismittel in Sachen „Bombenleger“ zu vernichten und illegal Telefongespräche abzuhören. Weil das alles Geld kostete, fingen die Schlapphüte aus Luxemburg an, die hauseigenen Dienst-BMWs illegal zu verhökern. Vermutlich werden seitdem die Verfolgungsjagden über den Kirchberg auf dem Velo absolviert. Man muss sich den luxemburgischen Geheimdienst also ein bisschen vorstellen wie eine von Inspector Clouseau geleitete „Police Academy“ – nur weniger erfolgreich.

Attraktiv am Ländchen ist also natürlich nicht die erschöpfte kommunistische Partei oder der tölpelhafte Geheimdienst – für beides hätte man ja auch in die DDR gehen beziehungsweise gleich dort bleiben können. Attraktiv ist vielmehr der bemerkenswerte Erfolg eines staatlich gesteuerten Kapitalismus, der seine Gewinne oft wieder in sozialpolitische Wohltaten und hohe Löhne verwandelt. Luxemburg ist damit eigentlich der wahr gewordene Traum eines Salonrevoluzzers wie Phillip Boa, der unlängst auf die Frage nach seiner politischen Vision antwortete, er wolle immer noch „den Sozialismus“ – aber „dieses mal mit Kohle“. Boa könnte man also getrost zurufen: „Dann geh doch nach drüben!“. Denn das neue „Drüben“, das ist Luxemburg.

Tom Lenz

Hier geht es zum vorherigen Teil der Trier-Luxemburg-Kolumne „Pendler pauschal“: „Der Wowereit von Luxemburg“

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.